Montag, 23. November 2009

Größte Vollversammlung seit Jahren an der Uni Hamburg beschließt Resolution

PRESSEMITTEILUNG (23.11.2009)

Bei der größten uniweiten, studentischen Vollversammlung seit Jahren kamen heute etwa 2000 Studierende im besetzten Audimax der Uni Hamburg zusammen. Auf der Tagesordnung stand das weitere Vorgehen bezüglich der Präsidenten-“Wahl“ an der Uni. Es wurde nahezu einstimmig eine Resolution verabschiedet, die sich auf das Leitbild der Universität stützt und unter anderem folgende Punkte enthält (gesamte Resolution siehe unten):

Die Mitglieder des Akademischen Senats werden aufgefordert, sofort eine juristische Prüfung des angewendeten und offenkundig regelverletzenden „Wahl“-Verfahrens mit dem Ziel zu veranlassen, einen Neubeginn der Leitungs-Findung zu ermöglichen.
Dieter Lenzen wird aufgefordert, sich der Kritik in öffentlicher Diskussion zu stellen.

Die Resolution wurde nach der Vollversammlung, bei der auch die sehr erfolgversprechende Kampagne für Gebührenfreiheit vorgestellt wurde (www.gebuehrenfreiheit.de), dem Vize-Präsidenten der Uni, Herrn Fischer, verlesen und überreicht.

Das enorme Interesse der Studierenden an der Vollversammlung zeigt, dass die unbedingte Notwendigkeit von demokratischen Entscheidungsstrukturen an der Uni von einer sehr großen Masse der Studierenden geteilt wird. Auch beweist der heutige Tag, dass die Präsidenten-“Wahl“ für uns keine abgeschlossene Sache ist, sondern wir das Verfahren sowie den Kandidaten Lenzen weiterhin für inakzeptabel halten. Sicher ist: Wir werden noch einiges auf die Beine stellen.

Übrigens wurde heute auch die TU Hamburg-Harburg besetzt sowie aus Protest gegenüber der Präsidenten-“Wahl“ das Gebäude der Ex-HWP.

Wider die bockige Durchsetzung eines unmöglichen Uni-Präsidenten

Resolution der studentischen Vollversammlung vom 23. 11. 2009

Anstatt aus dem Scheitern einer exklusiv gekürten, wirtschaftsnahen und autoritären Präsidentin zu lernen, haben Hochschulrat und Akademischer Senat nun diese Tragödie als Farce wiederholt. Hektisch durchgedrückt wurde gegen massiven und begründeten öffentlichen Widerstand Dieter Lenzen, der als Präsident der FU-Berlin unrühmliche Bekanntheit erlangte mit
einer strengen Zurichtung der Universität auf wirtschaftsnahe „Wissenschaftscluster“,
der dazugehörigen Abwicklung gesellschaftskritischer und allgemeinbildender Forschungs- und Studienanteile und
der Missachtung demokratischer Gremien, Mitbestimmung sowie studentischer Kritik.
Seine Benennung konnte nur durch ein verschärft antidemokratisches Auswahl- und Entscheidungsverfahren sowie erpresserische Forderungen des Kandidaten gelingen. Hätten sich die beteiligten Organe der Universität an die vorgeschlagenen Alternativen zur Öffnung, Veröffentlichung und Diskussion des Verfahrens und des bzw. der KandidatInnen gehalten, wäre die Kür eines Wesensverwandten von Monika Auweter-Kurtz unmöglich gewesen. Um aber den Wunschkandidaten von Hochschulrat und Hamburger Senat durchzusetzen, wurden selbst Mindeststandards von Gremiendemokratie und Berufungsverfahren verletzt.
Dieter Lenzen ist – selbst im betörendsten Schafskostüm – als Hochschulpräsident weder geeignet noch erwünscht.

Die Entscheidung ist daher inakzeptabel. Die studentische Vollversammlung fordert die sofortige Revision. Eine künftige Universitätsleitung muß:
im Einklang mit der Präambel der Grundordnung und dem Leitbild der Universität für sozial verantwortliche Wissenschaft und Bildung mündiger Menschen für eine friedliche, demokratische und gerechte Gesellschaft eintreten,
die Einheit von Forschung, Lehre, Studium und Selbstverwaltung vertreten,
den kooperativen Zusammenhang der Universität und die Fächervielfalt fördern,
in diesem Verständnis für eine bedarfsgerechte, öffentliche Hochschulfinanzierung und demokratische Mittelverteilung einstehen, anstatt die inhaltliche Einflussnahme privater Geldgeber und die konkurrenzverschärfende Drittmittelorientierung zu befördern,
die sofortige Abschaffung aller Studiengebühren befürworten und sich aktiv dafür einsetzen,
sich den Positionen und Beschlüssen der akademischen Gremien verpflichtet sehen und die gleichberechtigte Verständigung mit allen Statusgruppen und ihren Interessenvertretungen suchen.
Eine neue Leitungs-Findung muß die demokratische Wahl solcher KandidatInnen ermöglichen.

Die Vollversammlung ruft alle Mitglieder der Universität auf, die Aktivitäten für ein gebührenfreies Studium, eine umfassende Studienreform „von unten“ und die Demokratisierung der Uni, insbesondere für die Abschaffung des Hochschulrats sowie für gesellschaftskritische Wissenschaftsinhalte zu intensivieren.
Der Akademische Senat und das derzeitige Präsidium sollen hinkünftig durch Sitzungsbesuche von der kritischen Hochschulöffentlichkeit ihrer Verantwortung für eine sozial vernünftige, kollegiale und demokratische Umgestaltung des universitären Alltags nachdrücklich erinnert werden.
Der AStA wird aufgefordert, sich seiner Verantwortung im Studierendenparlament in öffentlicher Diskussion zu stellen, zu der hochschulöffentlich einzuladen ist.
Die Mitglieder des Akademischen Senats werden aufgefordert, sofort eine juristische Prüfung des stattgehabten und offenkundig regelverletzenden „Wahl“-Verfahrens mit dem Ziel zu veranlassen, einen Neubeginn der Leitungs-Findung zu ermöglichen.
Dieter Lenzen wird aufgefordert, sich der Kritik in öffentlicher Diskussion zu stellen.
Wir fordern alle öffentlichen Kritiker des Verfahrens und des Kandidaten - auch außerhalb der Universität - auf, sich nicht nur populär zu äußern, sondern ihrer Kritik auch Taten folgen zu lassen und sich mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln für unsere Positionen einzusetzen.

Bemerkungen zur Ökonomisierung der Wissenschaft?

Eine interessante Abschiedsrede aus dem Jahre 2007 über Ökonomisierung und Lenzen von Bodo Zeuner, Emeritus am Otto-Suhr-Institut an der FU Berlin.

"Eine Universität, die sich als Gemeinwesen versteht, wird sich einem öffentlichen Auftrag verpflichtet fühlen und sich über den Inhalt des öffentlichen Auftrags intern streiten. Eine Universität nach dem Modell des Privatunternehmens wird sich umdefinieren zur Unterordnung all ihrer Tätigkeiten unter das oberste Prinzip, auf dem Markt erfolgreich zu sein. Dieses Modell der unternehmerischen Universität nimmt vollständig Abschied von der Idee und der Tradition der Universität nicht nur als Gruppenuniversität sondern überhaupt als Gemeinwesen.
Gibt es Hoffnung, dass die „unternehmerische Universität“ nicht das Ende der Universitätsgeschichte ist?"

Link zum Text auf nachdenken.de.